Das Kalenderblatt zum November
Der wohl unbeliebteste Monat des Jahres ... hat auch seine besondere Qualität!
31.10.-02.11.2023 • Día de los Muertos (Mexiko)
01.11.2023 • Allerheiligen
02.11.2023 • Allerseelen
03.11.2023 • Weltmännertag
11.11.2023 • Martinstag • Internationale Gedenktage zum I. Weltkrieg
12.11.2023 • Remembrance Sunday (Großbritannien, Commonwealth)
13.11.2023 • Neumond im Tierkreiszeichen Skorpion
19.11.2023 • Volkstrauertag
19.11.2023 • Internationaler Männertag
22.11.2023 • Buß- und Bettag
22.11.2023 • Sonne im Tierkreiszeichen Schütze: Herbstende
23.11.2023 • Thanksgiving Day (USA)
26.11.2023 • Totensonntag, Ewigkeitssonntag
27.11.2023 • Vollmond im Tierkreiszeichen Zwillinge
November: Gehen lassen!
November (Novembre, Noviembre, Novembro, listopad, ноябрь, Kasım) nannten die alten Römer ihren 9. (und unseren 11.) Monat eher lustlos. Im 8. Jahrhundert schlug Karl der Große »Herbistmanoth« (Herbstmonat) als Monatsnamen vor. Auch nicht sehr einfallsreich.
Besser treffen die altdeutschen Monatsnamen Windmond, Nebelung oder auch Trauermonat die ungemütlich-verhangene Stimmung dieser Wochen. Wer mag es schon, wenn der November kommt? Wenn die Tage immer dunkler und dunkler werden? Und die Äste der Bäume immer kahler und kahler? Das große Sterben und Vergehen, das wir jetzt überall in der Natur vor Augen haben, erinnert schmerzhaft an persönliche Verluste. Oder weckt Verlustängste …
Und als ob wir dieser nebligen Tristesse noch die Krone aufsetzen wollen, häufen sich in unseren Menschenkalendern nun die Gedenktage an unsere lieben Verstorbenen; und an die Sterblichkeit schlechthin? Das ist traurig, aber auch gut so, denn jetzt ist in der Tat die beste Zeit des Jahres, um sich klar und konsequent bewusst zu machen, dass Verluste nun einmal zum Leben gehören – und dass auch danach noch sehr viel bleibt. Nicht nur durch Friedhofsbesuche und das Entzünden von Grabeskerzen, sondern auch durch eine zuhause im Fenster leuchtende Erinnerungskerze können Sie denen, die gegangen sind, nun ein kleines »Danke, dass Du da warst« senden – um sich sodann in der kommenden Advents- und Weihnachtszeit doppelt an denen zu freuen, die noch da sind!
1. November
Allerheiligen: Namentlich und namenlos
Der November beginnt alle Jahre wieder mit Allerheiligen, dem Hochfest der römisch-katholischen Kirche, das in den deutschen Bundesländern Baden-Württemberg, Bayern, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Saarland, in 15 Kantonen der Schweiz sowie in ganz Österreich, Belgien, Frankreich (Toussaint), Luxemburg, Liechtenstein, Italien (Ognissanti oder Tutti i Santi), Spanien (Todos los Santos), Portugal, Ungarn, Polen, der Slowakei (Sviatok všetkých svätých), Slowenien (Dan spomina na mrtve), Kroatien, Litauen und auf den Philippinen mit einem gesetzlichen Feiertag gewürdigt wird. In Schweden (Allhelgonadagen) und Finnland wird Allerheiligen am Samstag zwischen dem 31. Oktober und 6. November begangen.
Die Gemeinschaft der Heiligen
Das »Festum Omnium Sanctorum«, wie es im offiziellen Kirchenlatein heißt, ist ein fabelhaft praktischer Tag: Heute werden sämtliche Heilige und Märtyrer der katholischen Kirche gemeinsam geehrt. Und dazu gehören nicht nur diejenigen, die sich einen besonders großen Namen gemacht und mit diesem (sogar im protestantischen Norden) einen eigenen Ehrentag begründet haben – wie etwa der Heilige Martin am 11. November, St. Nikolaus am 6.12., St. Valentin am 14.02. oder Johannes der Täufer am 24. Juni, dem Johannistag. Nein, Allerheiligen wird wirklich aller Heiligen gedacht, auch derer, die die sich nicht durch ein markantes Martyrium oder Wunder hervorgetan haben, nicht offiziell von der Kirche heiliggesprochen wurden und keinen feststehenden eigenen Gedenktag haben. Dieser Ehrentag gilt allen, die stets ein »heiliges«, d. h. frommes, moralisch gutes und reines Leben geführt haben – auch wenn dies der Welt entgangen sein mag und nur Gott selbst darum weiß.
Ein solches summarisches Heiligenfest wird in der Ostkirche bereits seit dem 4. Jahrhundert begangen, als die zunehmend anwachsende Zahl ehrenwerter Heiliger es unmöglich machte, jedem einzelnen einen bestimmten Tag zuzuordnen. Dieser orthodoxe »Herrentag aller Heiligen« wird bis heute am ersten Sonntag nach Pfingsten begangen. In der westlichen katholischen Kirche übernahm Papst Bonifatius IV. Anfang des 7. Jahrhunderts das zuvor dem gesamten antiken Götterhimmel geweihte Pantheon in Rom für die Jungfrau Maria und alle Heiligen und legte in Verbindung damit zunächst den Freitag nach Ostern als gemeinsamen Gedenktag fest. Im 8. Jahrhundert terminierte Papst Gregor III. den Feiertag dann offiziell auf den ersten November.
Der Heilige Niemals
Sicher kennen Sie die Redewendung, dass jemand »bis zum Sankt Nimmerleinstag« auf etwas warten kann, dass ein Ereignis also niemals eintreten wird. Pate dieser Redensart war die in deutschsprachigen katholischen Ländern vom frühen Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert hinein verbreitete Gepflogenheit, die Tage nicht nach ihrem Datum laut Kalender, sondern mit dem Namen des Heiligen zu bezeichnen, dem dieser Tag gewidmet ist. Einen Heiligen Nimmerlein aber gibt es im katholischen Heiligenkalender definitiv nicht. Also wird sein Tag auch niemals kommen … Es sei denn, man gesteht Sankt Nimmerlein (wie das Amtsgericht Bad Tölz im Jahr 1920) augenzwinkernd zu, dass er zu Allerheiligen ja ebenfalls zu würdigen wäre.
In Erinnerung behalten …
An den ernsthaften Sinn des Allerheiligenfestes wird alljährlich in Predigten erinnert, damit er in unseren modernen Zeiten nicht ganz in Vergessenheit gerät. Für zusätzliche Besinnlichkeit sorgt in den katholischen deutschen Bundesländern der Status Allerheiligens als stiller Feiertag, zu dem öffentliche Tanzveranstaltungen und laute, fröhliche Musik tabu sind. Traditionsgemäß werden zu Allerheiligen die Gräber verstorbener Angehöriger besucht, neu geschmückt und gesegnet, damit sie für den folgenden Allerseelen-Tag bereit sind. Auf dem Wiener Zentralfriedhof wird dieser Brauch so intensiv zelebriert, dass manche Allerheiligen als »heimlichen Nationalfeiertag« der Stadt bezeichnen.
2. November
Allerseelen: Die Lebenden helfen den Toten
Wer sich im Leben als wahrer Heiliger erwiesen hat, wird nach dem römisch-katholischen Glauben direttamente von Gott im Himmel aufgenommen. Was aber ist mit den Verstorbenen, die ein vielleicht nicht ganz so 100-prozentig gottgefälliges Leben geführt haben?
Der Gedenktag Allerseelen (Défunts, Allerzielen, in commemoratione omnium fidelium defunctorum) geht auf einen Erlass des (übrigens ebenfalls für heilig erklärten und am 1./2. Januar namentlich geehrten) Cluniazenserabts Odilo zurück, der Ende des 10. Jahrhunderts – zunächst nur für sein Kloster – den 2. November als Gedenktag für alle Verstorbenen festlegte. Besondere Aufmerksamkeit sollten dabei jedoch die Armen Seelen erfahren, die momentan im Fegefeuer allerlei Qualen für ihre Sünden zu erleiden haben; was etwa bei den Toten des gerade vergangenen Jahres besonders wahrscheinlich war.
Das Fegefeuer: eine Art göttliche Waschanlage
Das Fegefeuer (Purgatorium) wird in der bildenden Kunst zwar gern ähnlich flammenreich wie die Hölle dargestellt, doch es ist absolut nicht mit dem Reich Satans und des ewigen Leidens gleichzusetzen, in dem wirklich nur die ganz, ganz bösen Menschen – unter anderem mit Hitzequalen – ihr gesamtes Leben nach dem Tod verbringen müssen. Vielmehr ist das Fegefeuer nach katholischem Verständnis ein Ort der Läuterung durch die reinigende Kraft, die dem Element Feuer schon in der Antike zugesprochen wurde.
Ins Fegefeuer gelangt, wer zwar mit der Gnade Gottes gestorben, aber noch nicht rein und heilig genug ist, um in den Himmel aufgenommen werden zu können. In dieser zeitlich befristeten Zwischenstation erleiden die Seelen der Verstorbenen zwar Qualen, die sie für ihre im Leben begangenen kleinen Sünden bestrafen, doch sie haben dabei immer die berechtigte Hoffnung, letztendlich doch in Gottes Reich einzugehen; denn der Himmel ist der einzige Ausgang des Fegefeuers.
Die Armen Seelen im Fegefeuer spüren die Liebe Gottes zwar schon; doch sie fühlen sich ihrer noch nicht würdig und müssen einen mehr oder minder langwierigen Prozess der Reue durchlaufen.
Fürsorgliche Unterstützung aus dem Diesseits
Die Idee, die sich von Odilos Kloster in Cluny aus in der römisch-katholische Welt ausbreitete, war nun die, dass speziell der 2. November ein sehr guter Termin für die Lebenden ist, den geliebten Toten zu Hilfe zu eilen und deren Aufenthalt im Fegefeuer durch Gebete, Fasten und Fürbitten, Friedhofsgänge und Gräbersegnungen oder auch Almosen und Ablasszahlungen zu verkürzen. Zumindest sollten diese Maßnahmen es den Seelen der Toten ermöglichen, kurzfristig aus dem Fegefeuer zur Erde zurückzukehren und sich hier etwas von den Strapazen zu erholen. Der Brauch, die Gräber mit Lichtern zu schmücken, soll ihnen dabei den Weg weisen. In manchen Regionen, vor allem in den Alpenländern, werden auch Seelenbrezeln und andere Gebildebrote zur Stärkung auf den Gräbern deponiert, oder man hält zu Hause auf dem Küchentisch etwas Brot oder Suppe, vielleicht auch ein Schälchen Milch zum Abkühlen der brennenden Kehle und etwas Öl zur Linderung der Brandwunden für die Lieben im Fegefeuer bereit.
31. Oktober bis 2. November
Día de los Muertos: Tröstlich und heiter
Ein weitaus fröhlicheres, schuldfreieres Totengedenken kennt man in Mexiko, wo sich die Grundidee des christlichen Allerseelentags munter mit indigenen Traditionen vermischt hat, die zumindest bis auf die Kultur der Azteken (14.-16. Jahrhundert) zurückreichen.
Hier gab es bereits den Glauben, dass die Toten einmal im Jahr, und zwar im Herbst, wenn die Erntezeit zuende geht, auf einen kleinen Besuch aus dem Jenseits zurückkehren und zusammen mit den Lebenden ein vergnügtes Fest mit Musik, Tanz und gutem Essen feiern. Diese heitere und sehr tröstliche Vorstellung konnten die christlichen Missionare im Gefolge der spanischen Konquistadoren einfach nicht aus der Welt schaffen – aber sie konnten sie zumindest terminlich mit dem Hochfest Allerheiligen und dem Gedenktag Allerseelen zusammenlegen. Heute ist der vom (Halloween-)Abend des 31. Oktobers bis zum 2. November ausgedehnte Día de los Muertos oder Día de Muertos einer der wichtigsten Feiertage des Landes – und seit 2003 auch immaterielles UNESCO-Kulturerbe der Menschheit.
In bunter Pracht bereit für Besuche
Was macht diese Form des Totengedenkens so besonders? Vor allem wohl der hier so liebevoll-heitere statt ängstliche oder büßerische Blick auf den Tod – aber auch die Idee, persönliche Trauer durch ein fröhliches und fantasievolles Volksfest zu Ehren der Toten zu lindern.
Auffallend ist zunächst die Farbenpracht, in der die Wohnungen, Geschäfte, Straßen und Friedhöfe geschmückt sind – wobei Orange und Gelb klar dominieren, denn man glaubt, dass die Toten diese Farben am besten erkennen können. Bunt bemalt sind oft auch die Calaveras, die Skelette aus Pappmaché, Gips oder Zucker, die sehr lebensnah und lustig in allen möglichen Alltagssituationen dargestellt werden. Laternen an den Haustüren und ein leuchtender Blütenteppich aus orangefarbenen und gelben Blumen (Cempasúchil, Tagetes, Ringelblumen, Chrysanthemen), der vom Friedhof bis zum Haus der Familie führt, weisen den Verstorbenen den Weg zu ihren Lieben.
Im Zentrum der häuslichen oder öffentlichen Feierlichkeiten stehen die Ofrendas, die üppig mit Blumen, Fotos der Verstorbenen, Erinnerungsgegenständen, bunten Todessymbolen, Kerzen und Weihrauch geschmückten Totenaltäre. Auch Speisen und Getränke dürfen hier nicht fehlen, damit sich die Besucher nach ihrer langen Reise aus dem Totenreich stärken und kleine Geschenke mit sich zurück nehmen können. Es gibt zuckersüße Totenschädel, die Calaveras de Azúcar, mit dem Namen des Verstorbenen auf der Stirn, oder das mit Knochen und Schädeln und kleinen Tränentropfen als Symbol der Trauer verzierte Pan de Muerto, das Brot der Toten.
Nie ein Abschied für immer!
Nachdem in der Nacht zum 1. November speziell die Angelitos, die kleinen Engel, also die Seelen der verstorbenen Kinder erwartet werden, kommen in der Nacht zum 2. November die Seelen der erwachsenen Toten zu Besuch. Sie werden dann später zum Friedhof zurückbegleitet und mit Speis und Trank, Musik und Tanz verabschiedet. Punkt Mitternacht am 2. November ist das gemeinsame Fest dann vorbei, die Toten müssen ins Jenseits zurückkehren – doch im nächsten Jahr trifft man sich ja wieder!
11. November
Martins Tag
Einer der besonders populären Heiligen, der von der katholischen (aber auch von der der orthodoxen, der evangelischen und der anglikanischen) Kirche mit einem eigenen Gedenktag namentlich geehrt wird, ist Martin von Tours. Sein Tag ist der 11. November, an dem er im Jahr 397 bestattet wurde. Ein anderer Martin, nämlich der Reformator Luther, wurde dann am 11. November 1483 getauft – und erhielt traditionsgemäß den Vornamen des Tagesheiligen.
Wodurch erlangte Martin von Tours die Ehre, als Namenspatron dieses Tages derart nachhaltig in Erinnerung zu bleiben? Er war kein frühchristlicher Märtyrer, der unter Qualen für seinen Glauben starb, sondern einer der ersten, dem schlicht als Bekenner zum Christentum der Status als Heiliger zugesprochen wurde. Werfen wir einen Blick auf die Lebensgeschichte und die Legenden, die diesen menschenfreundlichen Minimalisten so besonders machen!
Martinus, der Sohn eines römischen Militärtribuns, wurde um 316 in der römischen Provinz Pannonia prima (im heutigen Ungarn) geboren. Statt den opulent bevölkerten römischen Götterhimmel zu verehren, sympathisierte er schon früh mit dem Christentum und meldete sich bereits als Zehnjähriger als Taufbewerber (Katechumene) an. Seiner Herkunft nach war Martinus jedoch für eine Militärlaufbahn vorgesehen, die er im Alter von 15 Jahren auch antrat. Als Kavalleriesoldat der Kaiserlichen Garde war der gebürtige Römer unter anderem ab 334 im gallischen Amiens stationiert; und hier geschah das, was Sankt Martin zu einem so nachhaltig anschaulichen Inbegriff christlicher Tugenden machte:
Martins Mantel
An einem eisigen Wintertag soll der römische Reiter am Stadttor von Amiens einem vor Kälte zitternden, nur mit dünnen Lumpen bekleideten Bettler begegnet sein, der ihn um ein Almosen bat. Doch der schon immer sehr wohltätige Martinus hatte gerade kein Geld, sondern nur seine Armeeausrüstung dabei; und so nahm er kurzerhand sein Schwert und teilte seinen flauschig-warmen Militärmantel in zwei Hälfen, von denen er eine dem frierenden Armen gab. In der Nacht darauf, so berichtet die Legende, sei Martinus im Traum dann Jesus Christus erschienen, der – mit ebendieser Mantelhälfte bekleidet – sinngemäß sprach: »Was du für den geringsten meiner Brüder getan hast, das hast du für mich getan.«
Beflügelt von dieser Vision bat Martinus bald darauf um seine Entlassung aus dem Kriegsdienst, den er als unvereinbar mit dem Christentum empfand. Er wollte lieber ein »Soldat Christi« als ein »miles Caesaris«, ein Soldat des römischen Kaisers sein. Doch die Resonanz auf seinen Wunsch war unerbittlich, und so musste Martinus seine obligatorisch 25-jährige Dienstzeit komplett absolvieren. Erst 356 war er endlich frei – und wurde mit rund 40 Lebensjahren Schüler des Bischofs Hilarius von Poitiers, der ihn 351 getauft hatte. Anschließend zog Martin sich als Einsiedler zurück, war als Missionar tätig und gründete 361 die Abtei de Ligugé, das erste Kloster des Abendlandes.
Martins Gänse
Seinem Naturell nach war Martin wohl geradezu der Prototyp des asketischen Mönchs, der seinen Glauben vorzugsweise unter maximalem Rückzug von der Welt lebt; doch das Volk der Region liebte ihn überschwänglich, verehrte ihn als Nothelfer und Wundertäter – und wollte ihn nach Hilarius‘ Tod 371 unbedingt zum neuen Bischof machen. Dieses Amtes fühlte sich der notorisch bescheidene Martin jedoch nicht würdig, und deshalb soll er sich vor seinen Fans in einem Gänsestall versteckt haben. Keine sehr weise Idee, denn die aufgescheuchten Gänse schnatterten prompt so laut, dass Martin leicht gefunden und zum Bischof ernannt werden konnte.
Allerdings … vielleicht gehört diese Heiligenlegende auch zu den Fake-News der Antike. Sie ist nur eine von vielen Begründungen, warum ausgerechnet am 11. November so gern Gänsebraten verzehrt wird. Einer anderen Story zufolge wurde Martin erst als bereits ernannter Bischof von schnatternd in die Kirche watschelnden Gänsen bei einer Predigt gestört; und daraufhin wurden diese dann zur Strafe geköpft und verspeist.
Historisch halbwegs verbürgt ist nur, dass zu Zeiten des mittelalterlichen, byzantinisch geprägten Christentums nach dem 11. November die 40-tägige Fastenzeit vor Weihnachten begann. Analog zur heutigen Fastenzeit vor Ostern bzw. zum Karneval konnte nun also ein letztes Mal geschlemmt werden; und da ist so ein opulentes Festtagsessen wie Gans doch genau das richtige, oder? Der markante Martinstag entwickelte sich im Mittelalter aber auch zu einem Termin, an dem das gemeine Volk den sogenannten »Zehnten« zu zahlen hatte, eine Art Steuer oder Pacht für das bewirtschafte Gelände; und diese Zahlung konnte durchaus auch in Naturalien erfolgen, zum Beispiel in Form einer jetzt noch schön prallen und fetten Gans, die dann von den armen Bauern im Winter nicht mehr mit durchgefüttert werden musste – sondern stattdessen oft umgehend auf der Tafel der Herrschenden landete.
Martins Umzüge
Doch genug der Gänse, kommen wir zum Martin zurück: Vom 4. Juli 372 bis zu seinem Tod am 8. November 397 (im Alter von 81 Jahren) amtierte Martin als Bischof von Tours. Dabei zog er es jedoch vor, vor den Mauern der Stadt in einer bescheidenen Holzhütte zu leben, aus der 375 dann das Kloster Marmoutier entstand. Die (genau wie seine Militärzeit) noch einmal rund 25 Jahre als Bischof nutzte der schon zu Lebzeiten »Bischof der Armen« genannte Martin von Tours dazu, das Leid der Bedürftigen zu lindern, so gut es ihm irgend möglich war. Nach Auskunft seines begeisterten Biographen Sulpicius Severus soll er nicht nur viele Menschen zum christlichen Glauben bekehrt und geheilt, sondern durchaus auch Wunder wie etwa Totenerweckungen vollbracht haben. Doch er zerstörte auch bisherige religiöse Stätten, um die Christianisierung in der Region voranzutreiben.
Als der schon greise Bischof auf einer seiner zahlreichen Seelsorgereisen verstarb, war die Trauer groß. Eine riesige Menschenmenge begleitete den verehrten Bischof mit einer Lichterprozession zu seiner letzten Ruhestätte. Dieses Ereignis imitiert alle Jahre wieder der wohl markanteste Brauch am Martinstag, der von Südtirol bis Schweden, von den Niederlanden bis Oberschlesien verbreitete Laternenumzug der Kinder am Martinstag.
Zum Zug gehört häufig auch ein Reiter, der – als römischer Soldat im leuchtend roten Mantel verkleidet und auf einem Schimmel sitzend – den heiligen Martin aus der Bettlerszene darstellt und so alle Jahre wieder die Kernbotschaft des Heiligen Martins an unser kollektives Bewusstsein, das Prinzip der Opferbereitschaft und Selbstlosigkeit, in Erinnerung ruft.
11. November
Internationale Gedenktage zum Ersten Weltkrieg
Im 20. Jahrhundert bekam der 11. November zusätzliche Bedeutung als der Tag, an dem der I. Weltkrieg endete. Offiziell herrschte zwar erst mit dem am 28 Juni 1919 unterzeichneten Versailler Vertrag Friede; doch bereits am 11. November 1918 wurde zwischen dem Deutschen Reich, Frankreich und Großbritannien der Waffenstillstand von Compiègne geschlossen, der (seltsam karnevalistisch) besagte, dass die Kampfhandlungen zur 11ten Stunde des 11ten Tages im 11ten Monat beendet seien. Diesen Termin würdigt man heute in Frankreich (Armistice 1918) und Belgien (Wapenstilstand 1918) mit einem arbeitsfreien Feiertag. In Polen wird zeitgleich der Tag der Unabhängigkeit (Narodowe Święto Niepodległości) gefeiert.
Trauriger gestimmt erinnert der Remembrance Day am 11. November oder an einem Sonntag im Umfeld dieses Termins in Großbritannien und den Commonwealthländern (also unter anderem in Kanada, Australien, Neuseeland, Indien, Pakistan und zahlreichen afrikanischen Staaten) an die Gefallenen des Ersten Weltkrieges. Inspiriert von John McCraes Gedicht In Flanders Fields symbolisieren (meist künstliche) Mohnblumen, die man sich z. B. ansteckt, die vom Blut der Soldaten rot gewordenen Felder in Flandern. Daher heißt dieser Tag auch »Poppy Day«, also Mohnblumentag.
In den USA dagegen würdigt der Veteran’s Day zum 11.11. die Soldaten beiden Weltkriege, die das Grauen überlebt haben; den Gefallenen ist dann der Memorial Day am letzten Montag im Mai gewidmet.
Mit problematischem Beiklang: der Volkstrauertag
In Deutschland ist (seit 1952) der zwei Sonntage vor dem Ersten Advent als stiller – also musik- und tanzloser – Tag anberaumte Volkstrauertag der staatlich-offizielle Gedenktag an die Kriegstoten und die Opfer von Gewaltherrschaft weltweit. An sie erinnern Kranzniederlegungen und Gedenkstunden im Bundestag sowie landesweit in den meisten Städten und Gemeinden.
Wie ganz Deutschland, so hat auch der Volkstrauertag eine eher belastete Geschichte – und leider auch Gegenwart: Ursprünglich schlug der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge gleich 1919 einen Gedenktag für die im Ersten Weltkrieg gefallenen deutschen Soldaten vor, der alle Deutschen warnend an die Leiden des Krieges erinnern sollte. Am 28. Februar 1926 wurde dieser Tag dann auch erstmals begangen. Doch bereits weit vor den Zeiten des Nationalsozialismus‘ verband man mit diesem Termin weniger den Rat, von weiteren Aggressionen Abstand zu nehmen, als vielmehr die abstruse Vorstellung, dass diejenigen, die sich für das Vaterland Deutschland geopfert haben, den höchsten Idealen der Selbstlosigkeit gerecht geworden wären. Der Acker war also perfekt vorbereitet: 1934-1945 mutierte der Trauertag (mit auf halbmast gehissten Flaggen) zu dem glanzvollen »Heldengedenktag« (mit hoch gehissten Fahnen), als den ihn verblendete Nachwuchs-Nazis quer zur eigentlichen Bedeutung des Termins auch heute wieder zelebrieren.
In Sack und Asche? Der Buß- und Bettag
Regelmäßig am Mittwoch zwischen dem Volkstrauertag und dem Totensonntag – frühestens also am 16. November und spätestens am 22. November – steht dann der Buß- und Bettag im deutschen Kalender, der heute lediglich im Bundesland Sachsen ein arbeitsfreier regionaler Feiertag ist. Da gab es auch andere Zeiten: 1952-1981 was der Buß- und Bettag in der gesamten Bundesrepublik ein gesetzlicher Feiertag, und 1990-1994 hatte das ganze wiedervereinigte Deutschland frei.
Seit 1995 ist damit jedoch Schluss, um die Arbeitgeber nicht unnötig zu belasten. Religiöse Nichtsachsen, die gerade jetzt büßen und beten wollen, können sich zwar freinehmen, ohne dass dies auf das Konto ihrer Urlaubstage geht; doch der Lohn wird dann nicht fortgezahlt. Nicht viel besser geht es da den Schweizer Kollegen, deren Eidgenössischer Dank-, Buss- und Bettag auf den dritten Sonntag im September fällt. Glücklicher treffen es die Dänen mit dem Store Bededag am vierten Freitag nach dem Ostersonntag.
Doch ein freier Tag zum Büßen und Beten – das klingt ja sowieso nicht gerade amüsant. Nun, zumindest brauchen wir keine Angst zu haben, jetzt im Sinne von »Das wirst du mir büßen!« mit vielleicht gar physisch schlagkräftiger himmlischer Strafe für begangene Sünden rechnen zu müssen. Vielmehr ist jetzt die innere Reue und Besserung im gedanklichen Austausch mit Gott gefragt …
Damals, in Ninive
Hinter dem Termin steht die Idee, dass ein Volk durch gemeinsame Gesten der Buße und Gläubigkeit Not und Gefahr abwenden kann. Und diese Idee ist uralt. Sie funktionierte der Bibel nach (Buch Jona 3,4-10) z. B. im lasterhaften Ninive, dessen Bewohnern der frisch dem Walfischbauch entschlüpfte Prophet Jona wegen ihrer Gottlosigkeit den baldigen Untergang ankündigt hatte. Daraufhin bekannte sich das Volk zu Gott und rief ihn lautstark an, man fastete und kleidete sich demütig in Säcke. Der ebenfalls eingesackte König setzte sich sogar vom Thron in die Asche, und auch die Tiere bekamen weder Futter noch Wasser. Und so fand ganz Ninive Gnade vor Gott und wurde doch nicht vernichtet.
Akute Notfälle und Quantembertage
Nach dem Vorbild dieser in Ninive so erfolgreichen Strategie verordnete die Obrigkeit im Mittelalter dem Volk dann je nach aktuellem Bedarf – also in Zeiten von Krieg, epidemischen Krankheiten oder anderen Notständen – ebenfalls allgemeine Buß- und Bettage, die mit der inneren Umkehr zum Besseren und Hinwendung zu Gott auch die äußere Lage verbessern sollten.
Zusätzlich wurden von Papst Gregor VII. (1073–1085) die sogenannten Quantember ins Leben gerufen: Regelmäßig viermal im Laufe des Kirchenjahres forderten diese Termine die Gläubigen für jeweils drei Tage (Mittwoch, Freitag und Samstag) dazu auf, Gott durch Abstinenz und Fasten, Almosen und Gebete verstärkt für seine Gaben zu danken und bewusst christlich zu handeln. Ohne strenges Fastengebot gibt es diese Tage der religiösen Besinnung bis heute; als Frühlingsquatember in der ersten Fastenwoche nach Aschermittwoch, als Sommerquatember in der Woche vor Pfingsten, als Herbstquatember in der ersten Oktoberwoche und als Winterquatember in der ersten Adventswoche.
In der katholischen und dann auch in der evangelischen Kirche praktizierte man beide Buß- und Betvarianten. Ein einheitlicher, auf den Mittwoch vor dem letzten Sonntag im Kirchenjahr terminierter Buß– und Bettag wurde erst 1893 im ordnungsliebenden Preußen eingeführt. Die Nationalsozialisten machten daraus einen landesweiten Feiertag, den sie in Kriegszeiten aber auf einen Sonntag verlegten, um die Rüstungsindustrie und andere nicht unnötig von der Arbeit abzuhalten. Nach dem Krieg wurde der Büßertag sowohl in der BRD wie auch in der DDR wieder etabliert; in letzterer hielt er sich jedoch nur bis 1966.
Totensonntag: die allerletzten Grüße
Mit dem Toten- oder Ewigkeitssonntag endet (jährlich wechselnd zwischen dem 20. und dem 26. November) der Reigen der novemberlichen Gedenk- und Trauertage.
Dieser Tag ist sozusagen das evangelische Pendant zum katholischen Allerseelen. Die Reformatoren lehnten einen eigenen Totengedenktag zunächst zwar strikt ab, aber das wohl wirklich sehr elementare menschliche Bedürfnis, den geliebten Verstorbenen gemeinsam mit anderen Trauernden zu einem bestimmten Termin besonders nah zu sein, war schließlich doch stärker. Bereits 1540 gestattete die Brandenburger Kirchenordnung dieses Gedenken am letzten Sonntag vor dem Ersten Advent, doch erst König Friedrich Wilhelm III. von Preußen erhob den Termin 1816 zu einem echten Gedenktag, nämlich zum »allgemeinen Kirchenfest zur Erinnerung an die Verstorbenen«, denen nun nicht nur individuell, sondern auch kollektiv Friedhofsbesuche, frischer Gräberschmuck und Gottesdienste gewidmet werden.
Wie Allerheiligen, Allerseelen, der Volkstrauertag und der Buß- und Bettag gehört auch der Totensonntag zu den sogenannten stillen Tagen, an denen laute Musik und Tanz in der Öffentlichkeit aus Pietätsgründen zu vermeiden sind. Ziemlich zu Recht auch plädieren die Kirchen dafür, mit dem bunt-kommerziellen Weihnachtsmarkttrubel erst ab dem Montag nach Totensonntag durchzustarten.
Das Ende und die Ewigkeit
Neben seiner Bedeutung als evangelischer »Gedenktag der Entschlafenen« in Deutschland und der Schweiz oder auch, parallel dazu, als katholisches Christkönigsfest, hat der Sonntag vor dem Ersten Advent insofern einen besonderen Stellenwert, als mit ihm (bzw. mit dem darauffolgenden Samstag) das christliche Kirchenjahr endet. Entsprechend stehen jetzt die sogenannten »Letzten Dinge« im Zentrum der Predigten – und dazu gehören nicht nur der Tod, sondern auch das Jüngste Gericht und schließlich die Auferstehung und das Ewige Leben, die große Hoffnung der Christenheit.
»Wenn im November die Stern' stark leuchten,
lässt dies auf bald viel Kälte deuten.«
Sagt eine Bauernregel zum Monat – und meint damit natürlich nicht die im Laufe des Novembers mehr und mehr erstrahlenden Weihnachtsdekorationen. Die modernen Meteorologen stimmen dieser Prognose durchaus zu: Die langen Herbstnächte bewirken zwar generell eine Abkühlung auf der Erde, doch unter einer dichten Wolkendecke geschieht dies wesentlich langsamer als in der klaren, trockenen Luft, die mit einem gut sichtbaren Sternenhimmel einhergeht.
Vielen Dank für Ihr Interesse! Die im März 2014 erstmals auf www.dr-michaela.mundt.de eingerichtete Rubrik »Kalenderblatt« wurde inspiriert durch meine Tätigkeit als Lektorin für die Neumann & Wolff Werbekalender GmbH & Co. KG / ALPHA EDITION GmbH & Co. KG seit Sommer 2012. Die Bauernregeln zum Monat habe ich 2014 im Auftrag der Kieler Werbeagentur WortBildTon GmbH für mein coop magazin, das Kundenmagazin der sky-Märkte beleuchtet. Der Text zum Monat November wurde im Sommer 2018 ergänzt, die Beiträge zu den besonderen Gedenk- und Feiertagen im November 2020.
Fotos: © M. Mundt, Bilder zu den Feiertagen via wikimedia commons (Details siehe Link zum Bild) und Mika/Unsplash (11.11., Poppy Day). Vielen Dank dafür!